06.10.2008

3. Oktober 2008, Hamburg Rede des Bundesratspräsidenten Ole von Beust, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg zum Tag der Deutschen Einheit

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

sehr geehrter Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts,

Excellenzen,

liebe Kollegen,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

I.

Hamburg war 1991 das erste Bundesland, das den Nationalfeiertag des 3. Oktober ausrichten durfte. Heute feiern wir den 18. Geburtstag der Deutschen Einheit und ich begrüße Sie ganz herzlich in Hamburg.

18 Jahre Deutsche Einheit - das heißt: Eine neue Generation ist volljährig, die die Teilung nicht erlebt hat. Das sind junge Leute, die nach vorne blicken, die etwas bewegen und ihr Leben in die Hand nehmen möchten.

Und es sind junge Menschen, von denen viele stolz auf Deutschland sind, die zu ihrem, zu unserem Land stehen. Die das Wir-Gefühl bei der Fußball-WM genossen haben und die sagen: "Ich finde es gut, wenn wir als Nation zusammenhalten."

Umfragen haben gezeigt, dass der Begriff "Nation" bei unseren Jugendlichen positiv besetzt ist. Das erstaunt, wenn man selbst in einer Zeit der Zweifel und Selbstkritik aufgewachsen ist und mit der Einstellung zum eigenen Land vielleicht auch gerungen hat.

Und es ermutigt. Denn endlich wächst das Zutrauen: Es kann gelingen, sich der eigenen Geschichte bewusst zu sein und zugleich im Reinen mit Deutschland zu sein.

II.

Wenn ich heute der Frage nachgehe "Wie steht es um die Deutsche Einheit?", möchte ich deshalb nicht Wirtschaftsdaten oder politische Analysen bewerten. Nicht, weil ich dies für unwichtig hielte - im Gegenteil: Die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West muss das Ziel der Politik bleiben; ebenso die Stärkung von Demokratie und Wirtschaftskraft im gesamten Land - und zwar das ganze Jahr.

Heute aber, an diesem Festtag, dem Tag der Deutschen Einheit, möchte ich fragen: Wie steht es mit der "gefühlten Deutschen Einheit", mit unserem Nationalgefühl? Was eint uns? Worauf können wir gemeinsam stolz sein?

Da gäbe es natürlich vieles aufzuzählen. Einen Bereich haben wir ausgewählt und den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit erstmals ein Motto gegeben: "Kulturnation Deutschland".

III.

Denn unsere Kultur trägt dazu bei, dass wir uns als Gemeinschaft empfinden. Kultur fragt nicht nach Abstammung und Herkunft, sondern nach Empfindungen. Sie fragt nicht nach Zahlen und Statistiken, sondern weckt Emotionen.

Sie ermöglicht gemeinsame Erfahrungen, in denen wir uns miteinander verbunden fühlen, weil das gemeinsame Erleben mehr Freude macht, weil wir daraus Kraft und Motivation schöpfen.

Kultur verbindet uns Deutsche: Sie lässt die Menschen quer durch unser Land reisen, um Ausstellungen, Architektur, Konzerte, Lesungen, Musicals, Theater und Tanz zu sehen und zu hören. Allein die Museen zählen jedes Jahr mehr als 100 Millionen Besuche! Dagegen erscheinen die knapp 12 Millionen Zuschauer in den Stadien der 1. Fußball-Bundesliga fast wie eine Randgruppe.

Auch im Ausland wurde und wird Deutschland bewundert für seine Künstler, seine Schriftsteller, Komponisten, Musiker. Sie tragen Sympathien in alle Länder und wir verdanken es auch ihnen, dass wir Deutsche zu Gast bei Freunden in aller Welt willkommen sind.

Denn wie der Sport vermag auch die Kultur ein neues Bild von Deutschland zu zeichnen: Ein Bild, das bunt ist und zugleich einzigartig und das Besondere unseres Landes zeigt. Denken Sie an unsere Sprache, die bei den Jugendlichen in vielen Ländern der Welt wieder beliebt ist, die wieder für große Gefühle steht - seit deutsche Bands mit ihren Liedern Fans auf allen Kontinenten begeistern.

Unser einzigartiges kulturelles Erbe prägt unsere Identität. Übrigens: Artikel 35 des Einigungsvertrages spricht genau das ausdrücklich an: die gemeinsame Identität als Kulturnation. Und es waren gerade Künstler, die während der deutschen Teilung die Verbindung zwischen den Menschen in Ost und West gehalten haben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

um unsere Kultur schätzen zu können, müssen wir sie auch wirklich kennen - und unseren Kindern und Jugendlichen nahe bringen.

Unsere Klassiker können nur noch die wenigsten zitieren. Das sollten wir ändern! Natürlich klingen Plädoyers für das Auswendiglernen nach langweiliger Deutschstunde. Aber gemeinsam zu singen oder zu zitieren macht nun einmal am meisten Spaß, wenn alle den Text kennen.

Dabei geht es mir nicht um das Anhäufen von Prüfungswissen im Kurzzeitgedächtnis. Was wir brauchen, ist ein Wissen über unsere Kultur, das Freude macht, das im Alltag lebendig ist und deshalb die Menschen miteinander verbinden kann.

Und wer meint, unsere Jugendlichen seien gar nicht mehr in der Lage, Texte auswendig zu lernen, kann sich leicht vom Gegenteil überzeugen lassen, wenn er das Konzert einer angesagten Band besucht.

Denn die Kinder und Jugendlichen sind begeisterungsfähig - nutzen wir dies für unsere gemeinsame Kultur. Auch deshalb finde ich es wichtig, in kulturelle Bildung zu investieren, nicht nur Geld, sondern auch Zeit und Ideen.

Und wir brauchen Einrichtungen und Orte, die neugierig machen auf Kultur. Hier gleich gegenüber entsteht mit der Elbphilharmonie einer der besten Konzertsäle der Welt. Die Kulturmetropole Hamburg möchte die Menschen aus allen Bundesländern einladen und ein Signal in die Welt senden, dass die Kulturnation Deutschland viel zu bieten hat - in all ihren Bundesländern.

IV.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Deutsche Einheit ist 18 Jahre alt - sie ist vielleicht noch nicht ganz erwachsen, aber sie ist auf dem besten Weg dahin.

Ich denke, unsere Kultur hat einen großen Beitrag geleistet, dass die Deutsche Einheit in den vergangenen Jahren gut gediehen ist und dass unsere gemeinsame Identität klarere Konturen gewonnen hat.

Denn unsere Kultur hält uns einen Spiegel vor - und der zeigt nicht Ossis oder Wessis, sondern uns Deutsche: Stolz ohne Überheblichkeit in einem weltoffenen Land.

Die Deutsche Einheit ist selbstverständlich im besten Sinn geworden, nicht nur für unsere Jugendlichen. Die Mauer in den Köpfen und Herzen ist fast abgetragen. Stattdessen ist ein Gefühl für unser Land entstanden.

Wir können deshalb mit voller Kraft all die Aufgaben anpacken, um unser Land noch lebenswerter zu machen. Und wir können die Vielfalt erleben, die unsere Kultur bietet - übrigens auch dank der Einflüsse von außen und von Menschen aus anderen Kulturen, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Denn Kultur ist nicht statisch, sondern wie ein Fluss mit vielen Zuläufen - nicht nur hier in unserer Hafenstadt Hamburg mit ihren jahrhundertealten Beziehungen in alle Welt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich lade Sie herzlich ein: Genießen Sie die Kultur während des Festaktes und Kultur aus allen Bundesländern auf dem Bürgerfest in der Hafen City und in der Speicherstadt. Feiern Sie mit uns den 18. Geburtstag der Deutschen Einheit hier in Hamburg!

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