Diskussionsforum Weimarer Dreieck
Internet zivilisieren und digitale Kompetenz fördern

Michael Müller

© Bundesrat | Frank Bräuer

"Diese Zivilisierung der virtuellen Welt halte ich für eine der drängendsten Aufgaben unserer Zeit," Bundesratspräsident Michael Müller eröffnete am 22. Oktober das Diskussionsforum "Fake News, Hate Speech und Bots - Herausforderungen für Demokratie und Rechtsstaat?" im Bundesrat. In seiner Rede unterstrich er die Bedeutung von staatlicher Regulierung im Netz, aber auch der Förderung von digitaler Kompetenz.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Herren Senatoren,
sehr geehrter Herr Minister Biesenbach,
Herr Senator Dr. Steffen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

herzlich willkommen im Bundesrat. Ich freue mich sehr, Sie heute zum 2. Diskussionsforum Weimarer Dreieck begrüßen zu können.

Die Zusammenarbeit von Frankreich, Polen und Deutschland im Weimarer Format hat bereits eine über 25-jährige Tradition und ist über den politischen Bereich hinaus, insbesondere in der Zivilgesellschaft und in der Wissenschaft sehr lebendig. Der Bundesrat und die Senate Frankreichs und Polens haben sich dieser trilateralen Zusammenarbeit erst vor einigen Jahren angeschlossen. Ich begrüße es sehr, dass wir uns nun auch über die regelmäßigen Treffen der Präsidenten hinaus, zu aktuellen Fachthemen austauschen.

Ein drängendes Thema wollen wir heute behandeln. Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung der Welt wirft zahlreiche Fragen auf, auf die wir noch keine Antworten haben. Eines scheint jedoch gewiss zu sein: Die Antworten kann ein nationaler Gesetzgeber allein nicht geben. Hier ist die Staatengemeinschaft gefordert, gemeinsam internationale Lösungsansätze zu finden. Das gilt insbesondere für den Umgang mit Hate Speech, Fake News und künstlicher Intelligenz. Mit Spannung erwarte ich daher die Diskussionen in unserem internationalen Forum mit Experten aus Frankreich, Polen und Deutschland. Herrn Senator Dr. Steffen, dem Vorsitzenden unseres Rechtsausschusses, möchte ich an dieser Stelle sehr für seine Initiative zur Veranstaltung danken.

"Demokratie Ins Netz" ist der Hashtag für das heutige Forum. Wir wollen diskutieren, inwieweit digitale Kommunikation und Information und deren Begleiterscheinungen die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung sowie unser Verständnis von politischer Teilhabe und demokratischer Öffentlichkeit verändern.

  • Führt die digitale Revolution zu einer Stärkung demokratischer Werte und Prozesse durch mehr Beteiligung und Interaktion?
  • Oder eher zu einer Schwächung durch Fragmentierung und Beschleunigung?
  • Haben die Bürger tatsächlich mehr Einfluss oder werden Sie eher zum Spielball neuer Akteure?
  • Müssen sich unsere Demokratien unter digitalen Bedingungen gar neu erfinden?

Das sind Fragen, die uns alle bewegen und die für die Zukunft von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehr wichtig sind.

Das Internet bietet nahezu unbeschränkten Zugang zu Informationen und eröffnet neue Möglichkeiten der demokratischen Mitwirkung und Interaktion. In Echtzeit können wir verfolgen, was in Parlamenten diskutiert und wie abgestimmt wird.

Aber wie demokratisch ist eigentlich die digitale Revolution? Kommentarspalten in Online-Zeitungen, Blogforen und Social-Media-Plattformen ermöglichen einer breiten Masse eine aktive Beteiligung an der politischen und gesellschaftlichen Diskussion. Die Zugangsschwellen für politische Teilhabe haben sich verringert, durch einige wenige Klicks kann man online Petitionen einreichen und unterstützen oder an Umfragen teilnehmen. Politische Institutionen und Akteure sind nahbarer geworden, da über das Netz ein unmittelbarer Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern möglich ist. Die virtuelle Welt überwindet räumliche Entfernungen und erlaubt daher auch neue Möglichkeiten außerparlamentarischer Organisationsformen.

Doch zugleich häufen sich Meldungen über die Schattenseiten der technologischen Entwicklung. Der Ausschuss für Digitales, Kultur und Medien des britischen Parlaments kam in einem Bericht zu dem Ergebnis, dass IT-Konzerne wie Facebook, Twitter und Google durch die Verbreitung von Falschinformationen und Hassbotschaften auf ihren Plattformen mitgeholfen hätten, die Volksabstimmung zum Brexit zu beeinflussen und zu Morden an der Rohinga-Minderheit in Myanmar anzustacheln.

In den Vereinigten Staaten wird darüber diskutiert, ob und in welchem Umfang die Präsidentschaftswahlen von 2016 über Falschmeldungen in sozialen Netzwerken beeinflusst wurden. Die EU-Kommission warnt vor einer Beeinflussung der Europawahlen im nächsten Jahr.

Das sind keine ganz neuen Phänomene. Falschmeldungen und Hassreden hat es immer schon gegeben. Neu sind hingegen die Schnelligkeit, mit der solche Meldungen und Kommentare verbreitet werden, deren Reichweite und die Intransparenz im Hinblick auf die Urheberschaft. Hinzu kommt: Was einmal im Netz steht, entfaltet Wirkung, egal, ob es wahr oder falsch ist.

Im Schutz der Anonymität sinkt bei vielen die Hemmschwelle, die Regeln des zivilisierten Zusammenlebens und einer von Respekt getragenen Kommunikation zu ignorieren. Da wird ein Kommentar zur Waffe, die das Gegenüber verletzen soll. Ich finde es richtig und wichtig, dass Opfer von Hate Speech die Attacken offenlegen und darüber sprechen, wie sehr sie dadurch verletzt wurden – so wie es zum Beispiel einige Politiker kürzlich in der "Zeit" gemacht haben. So kann eine breite Solidarität mit den Opfern von Hasskriminalität entstehen und auch eine nötige Wachsamkeit bei Regelverletzungen.

Meine Damen und Herren,

Christoph Meinel, Professor für Internet-Technologie am Hasso-PIattner-Institut in Potsdam, verglich die Digitalisierung einmal mit der Entdeckung eines neuen Kontinents. Zunächst zögen nur Forscher und Abenteurer in die neue Welt und nach und nach folgten alle anderen. In dem zunächst rechtsfreien Raum, setzte sich zuerst das Recht des Stärkeren durch. Je mehr Personen jedoch diese neue Welt bevölkern, desto dringender bedarf es allgemeingültiger Regel für das Miteinander. Die Regeln der Zivilisation müssen nun auch in die neue Welt, in den virtuellen Raum einziehen.

Diese Zivilisierung der virtuellen Welt halte ich für eine der drängendsten Aufgaben unserer Zeit. Es geht dabei nicht darum, den digitalen Fortschritt aufzuhalten. Sondern darum, rechtsstaatliche Grundsätze auch im virtuellen Raum durchzusetzen.

Das ist angesichts weltweiter Vernetzung und global agierender Plattformen auf der einen und der auf nationale Regelungen beschränkten Gesetzgebung nicht leicht. So gibt es z.B. keine weltweit einheitliche Definition von Hate Speech. Hate Speech ist immer in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet, der meist geprägt ist von nationalstaatlichen Ordnungen. Auch unser Netzwerkdurchsetzungsgesetz orientiert sich am deutschen Strafgesetzbuch. Ich vermute daher, dass wir bereits in diesem Kreis nicht zu einem einheitlichen Verständnis des Begriffs gelangen würden.

Weil es keine verbindlichen globalen Normen gibt, entwickeln Social Media Plattformen eigene Regeln und Praktiken, um die Kommunikation ihrer Nutzer zu regeln. Nach welchen Kriterien diese Standards entwickelt wurden, an welchem Kultur- und Rechtsverständnis sie sich orientieren und nach welchen Regeln sie angewendet werden, ist weitgehend unbekannt. Ich hoffe daher, dass die folgende Diskussion hier einiges zur Klärung beitragen kann.

Deutlich mehr Transparenz ist auch im Hinblick auf die Auswahl von Informationen im Netz erforderlich. Social Media Plattformen sind eben nicht wie der Namen suggeriert, neutrale Access Provider wie die Post oder die Telekom, die Inhalte lediglich weiterleiten. Vielmehr werden Inhalte mit Hilfe von Algorithmen arrangiert und ausgewählt und auf unsere vermeintlichen Interessen und Gewohnheiten zugeschnitten. Ein Vorgehen, das die oft behauptete Freiheit und Demokratisierung des Internets untergräbt.

Für die Nutzer ist in keiner Weise ersichtlich, auf welcher Basis die Auswahl erfolgt, so dass man die Frage aufwerfen kann, ob wir als digitale Bürger überhaupt noch autonome Entscheidungen treffen. Was bedeutet es für eine demokratische Öffentlichkeit, dass eine Handvoll privater Unternehmen zu einem großen Teil die Entscheidungskompetenz darüber hat, welche Informationen veröffentlichungswürdig sind?

Und wir dürfen nicht übersehen, dass dabei künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt, die über die Wichtigkeit von Informationen entscheidet. Und imstande ist, deren Verbreitung gezielt zu beeinflussen und so Debatten systematisch zu manipulieren.

Für Nutzer ist oft nicht erkennbar, wer sich hinter bestimmten Profilen verbirgt - Mensch oder Maschine. Ebenso wenig, wer für bestimmte Inhalte verantwortlich ist, von wem Werbung in sozialen Netzwerken finanziert wird. Was bedeutet es für demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, wenn die Meinungsbildung zunehmend von Algorithmen beeinflusst wird und Falschinformationen über soziale Netze weltweit verteilt werden können?

Meine Damen und Herren, Zivilisierung und Regulierung der Netzwelt stellen uns vor erhebliche Herausforderungen. Diese dürfen uns jedoch nicht davon abhalten unseren Anspruch umzusetzen, dass die Rahmenbedingungen für das gesellschaftliche Zusammenleben vom Gesetzgeber gemacht werden.

Ziel sollte es sein, IT-Unternehmen dazu anzuhalten, Prozesse transparenter zu machen. Dazu gehört zum Beispiel, Kriterien zu publizieren, auf deren Grundlage Algorithmen funktionieren, die Urheber und Finanzierer von Werbebeiträgen kenntlich zu machen, um so den Bürgern einen Teil ihrer Entscheidungsautonomie zurück zu geben.

Plattformregulierung muss die Meinungs- und Informationsfreiheit der Nutzer wahren, zugleich aber Schutz vor Hass und Gewalt und vor gezielt manipulativen Falschmeldungen bieten. Angesichts der weltweiten Ausdehnung sozialer Netzwerke brauchen wir eigentlich auch entsprechende globale Lösungen. Wir sind daher zunächst als Europäer gefordert, gemeinsame Regulierungen zu entwerfen.

Zum Schluss möchte ich kurz auf einen weiteren Aspekt aufmerksam machen: Plattformregulierung kann nicht die alleinige Lösung sein. Wir müssen zudem digitale Kompetenz und digitale Zivilcourage fördern, damit sich Nutzer besser in der virtuellen Welt zurechtfinden und mögliche Gefahren ihrer Aktivitäten besser beurteilen können. Denn nur mit aufgeklärten Bürgern wird uns eine Zivilisierung der virtuellen Welt gelingen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen eine anregende und ergebnisreiche Diskussion.

Begrüßung durch Senator Dr. Till Steffen und Eröffnungsbeitrag von Bundesratspräsident Michael Müller:

Stand 22.10.2018

Glossary

Hinweis zum Datenschutz

Sie können hier entscheiden, ob Sie neben technisch notwendigen Cookies erlauben, dass wir statistische Informationen vollständig anonymisiert mit der Webanalyse-Software Matomo erfassen und analysieren. Statistische Informationen erleichtern uns die Bereitstellung und Optimierung unseres Webauftritts.

Die statistischen Cookies sind standardmäßig deaktiviert. Wenn Sie mit der Erfassung und Analyse statistischer Informationen einverstanden sind, aktivieren Sie bitte das Häkchen in der Checkbox „Statistik“ und klicken oder tippen Sie auf den Button „Auswahl bestätigen“. Anschließend wird in Ihrem Browser ein eindeutiger Webanalyse-Cookie abgelegt.

Weitere Informationen zum Thema Datenschutz erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.