Jubiläum 25 Jahre - 16 Länder im Bundesrat



Ansprache des Präsidenten des Bundesrates, Stanislaw Tillich, in der 939. Sitzung des Bundesrates am 27. November 2015.

- Es gilt das gesprochene Wort -


Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Sehr verehrter Herr Bundespräsident Joachim Gauck!
Exzellenz, sehr geehrter Herr Präsident des österreichischen Bundesrates!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Ein Jahr darauf tagte der Bundesrat erstmals mit Vertretern aller 16 Landesregierungen. Wir gedenken heute dieses Ereignisses und dürfen zum ersten Mal in einer Sitzung der Länderkammer den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Sie, Herrn Gauck, recht herzlich begrüßen.

Verehrter Herr Bundespräsident, danke, dass Sie unserer Einladung - vielmehr der Einladung meines Vorgängers, Volker Bouffier - gefolgt sind!

Herzlich begrüße ich auch meinen österreichischen Amtskollegen, Herrn Bundesratspräsident Gottfried Kneifel, und seine Delegation.

Ich freue mich, dass Sie beide an dieser besonderen Sitzung des Bundesrates teilnehmen und dass Sie, Herr Bundespräsident, heute zu uns sprechen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neu gegründeten ostdeutschen Länder knüpften vor 25 Jahren wieder an ihre lange Tradition als Akteure im föderalen Kräftespiel der deutschen Staaten an.

Die letzte und einzige frei gewählte Volkskammer der DDR verabschiedete am 22. Juli 1990 das Ländereinführungsgesetz und das Länderwahlgesetz, das die Grundlage für die Landtagswahlen am 14. Oktober 1990 war.

Mit dabei bei der Verabschiedung des Gesetzes waren Sie, Herr Bundespräsident, und, mit Verlaub, auch ich. Wir beide durften damals an dieser Entscheidung mitwirken.

Soweit ich das sehen kann, ist heute nur einer unter uns, der die historische Sitzung des Bundesrates vor 25 Jahren miterlebt hat. Das ist unser Kollege Horst Seehofer, der Ministerpräsident des Freistaates Bayern. Er nahm damals als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung an der Sitzung teil.

Meine Damen und Herren, der Freistaat Bayern wurde zu einem Aufbauhelfer Sachsens, wie übrigens auch Baden-Württemberg. In beiden Ländern gibt es wieder eine gute Tradition, die für unseren Föderalismus wichtig ist: Viele Landespolitiker haben nämlich umfangreiche politische Erfahrungen in der Kommunalpolitik gesammelt.

So sind die Länder und mit ihnen der Bundesrat das Bindeglied unserer Nation zwischen den Kommunen einerseits und dem Bund andererseits. Die Länder in ihrer Vielfalt begründen den Bund, und der Bund steht wiederum mit dem Bundespräsidenten an der Spitze für die Einheit der Nation.

Das föderale Prinzip gilt als prägendes Element deutscher Staatlichkeit und ist weit älter als unsere deutsche Demokratie.

Wir teilen diese Geschichte mit unseren Nachbarn, mit der Republik Österreich.

Zur Geschichte des deutschen Föderalismus gehört übrigens auch, dass meine Heimat, die Oberlausitz, als böhmisches Kronland jahrhundertelang zur Habsburger Monarchie gehörte und nicht etwa zu Sachsen.

Die Republik Österreich, die mit Sachsen und Deutschland historisch so eng verbunden ist, ist ein wichtiger Partner der Bundesrepublik Deutschland. Ich freue mich darüber, dass wir heute in den Gesprächen anlässlich Ihres Besuches die Beziehungen unserer Länder einmal mehr vertiefen können, Herr Bundesratspräsident.

Meine Damen und Herren, wir tun dies in einer Zeit, der wir vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Seit zwei Jahren erleben wir in unseren Ländern einen Flüchtlingszustrom wie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr. Hinzu kommt der islamistische Terror, der mit den Anschlägen vom 13. November in Paris ganz nah an uns herangerückt ist.

Diese Ereignisse führen vielerorts zu Verunsicherungen und stellen uns vor neue Aufgaben. Einige fragen sich dabei: Ist unser Föderalismus noch zeitgemäß?

Meine Antwort lautet ganz entschieden: Ja! - Zwei Gründe möchte ich dafür nennen.

Erstens. Wir haben in der Asylpolitik und in Sicherheitsfragen unsere Handlungsfähigkeit bewiesen. Mit ersten Maßnahmen haben wir den Weg geebnet, um wieder zu mehr Ordnung und Kontrolle sowie einer besseren Steuerung in der Flüchtlingsfrage zu kommen.

Zudem haben die Ereignisse von Hannover gezeigt, dass die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden funktioniert. Dort, wo sie zum Schutz der Bürger noch verbessert werden muss, werden wir das tun. Eine Stärkung von Polizei, aber auch Verfassungsschutz und anderen Institutionen ist bei vielen Ländern auf der Agenda.

Ich bin davon überzeugt, dass sich der Föderalismus auch in der Integrationspolitik als stark erweisen wird; denn auch hier ermöglicht der Föderalismus, die Vielfalt der Gesellschaft und die regionalen Besonderheiten in den politischen Prozess einzubringen. So stehen beispielweise Hessen und Frankfurt am Main vor ganz anderen Aufgaben bei der Integration als Brandenburg und Frankfurt an der Oder.

Der Wettbewerbsföderalismus im besten Sinne wird uns auch bei dieser nationalen Aufgabe vor Stagnation bewahren. Er wird helfen, die besten Antworten zu finden; denn wir werden aus Erfolgen, aber auch Fehlern unter uns, den Ländern, lernen können und es besser machen können.

Der zweite Grund, warum ich glaube, dass unser Föderalismus noch zeitgemäß ist: Der Historiker Michael Wolffsohn empfiehlt in einem aktuellen Buch den Föderalismus als Formel für den Weltfrieden. Er ist davon überzeugt, dass viele gewalttätige Konflikte befriedet werden könnten, wenn den Beteiligten mehr Autonomie zugestanden würde.

Ein anderer, nämlich der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio, sagte kürzlich bei uns in Dresden: Deutschland war nur als Diktatur Zentralstaat und sonst immer föderal. Föderalismus und Demokratie gehören in der deutschen Geschichte also substanziell zusammen. Diese Überzeugung hatten auch vor 25 Jahren die Menschen in der DDR, als sie die Länderneugründung forderten.

Blickt man ins Protokoll der Bundesratssitzung vom 9. November 1990, entdeckt man noch andere Kontinuitäten. Für die ostdeutschen Länder sprach damals Dr. Alfred Gomolka, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. In seiner kurzen Erklärung sagte er, dass die ostdeutschen Länder vor allem Brücken nach Osteuropa schlagen wollten.

Brücken bauen hat bei den Ländern seit jeher Tradition. So pflegen sie schon lange internationale Partnerschaften. Rheinland-Pfalz zum Beispiel hat schon 1982 eine Zusammenarbeit mit Ruanda ins Leben gerufen; Hamburg hat die Hamburger Stiftung Asien-Brücke gegründet.

Das Europa der Regionen ist auch kein bloßes Schlagwort. Es ist gelebte europäische Wirklichkeit, die die Europäische Union und unser Zusammenleben darin stärkt.

Was interregionale Zusammenarbeit bewirken kann, haben wir, die ostdeutschen Länder, im Zuge der Wiedervereinigung erlebt. Die Unterstützung westdeutscher Kommunen und Länder war für uns in Ostdeutschland außerordentlich wichtig und hat uns einen guten Neustart ermöglicht.

Im Hinblick auf diese deutsche Erfahrung kommt es heute in Europa auf Institutionen an wie den Bundesrat hier, aber auch in Österreich und in anderen Ländern, um Europa zusammenzuhalten und auch nützliche Kooperationen zu stiften.

Hier möchte ich an den damaligen Bundesratspräsidenten Dr. Henning Voscherau anknüpfen. Er sagte vor 25 Jahren, er wolle - ich zitiere ihn - "den Bundesrat als Verfassungsorgan stärken, das Gegensätze nicht vertieft, sondern überbrückt und das Verbindende stärker betont als das Trennende".

So hoffe ich, dass wir uns auch im 26. Jahr der deutschen Einheit erfolgreich als Brückenbauer für ein gutes Deutschland betätigen.

Nun, verehrter Herr Bundespräsident, freuen wir uns auf Ihre Rede hier im Bundesrat, die erstmalig ist. Für diese Erstmaligkeit darf ich mich sehr bei Ihnen bedanken und darf Sie außerordentlich herzlich willkommen heißen. Sie haben das Wort.!

(Beifall)

Stand 27.11.2015

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