EU-Erweiterung - qualifizierte Mehrheit oder Billigung?

Foto: Mitglieder des Bundesrates bei der Stimmenabgabe

© Bundesrat | 2006

Am 24. November 2006 stimmt der Bundesrat über das Gesetz zum EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens ab. Die politische Zustimmung zur Erweiterung ist dabei weniger umstritten als die verfassungsrechtliche Frage, ob es dafür der Zustimmung des Bundesrates mit einer Zweidrittelmehrheit bedarf.

Zwischen Bundestag und Bundesregierung einerseits und dem Bundesrat andererseits besteht Streit darüber, ob das Vertragsgesetz zum EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens in der Länderkammer als so genanntes Einspruchs- oder als Zustimmungsgesetz mit qualifizierter Mehrheit behandelt werden sollte.

Der Bundesrat ist der Ansicht, zur Verkündung sei eine Zustimmung von zwei Dritteln seiner Stimmen notwendig, weil durch den Beitrittsvertrag Änderungen und Ergänzungen im Sinne des Artikels 23 Absatz 1 Satz 3 GG ermöglicht würden. Nach dieser Norm ist eine qualifizierte Mehrheit des Bundesrates erforderlich, wenn durch Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU und vergleichbare Regelungen das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen und Ergänzungen ermöglicht werden. Weil der Beitrittsvertrag für Bulgarien und Rumänien die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament, ihre Stimmzahl im Rat und das künftig geltende Quorum für Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit regelt, wird damit insbesondere der geltende EG-Vertrag geändert.

Verschiebung der Gewichte im Europäischen Gefüge

Nach Ansicht des Bundesrates werden die genannten Neuerungen erstmalig verbindlich im vorliegenden Vertragsgesetz festgeschrieben. Dadurch verschiebe sich im Ergebnis Stellung und Gewicht der Bundesrepublik Deutschland im institutionellen Gefüge der EU.

Foto: Europafahne und Fahnen von EU-Mitgliedsländern

Europa

© panthermedia | Tobias Ott | 2013

Das relative Stimmengewicht Deutschlands insbesondere im Rat und damit die Möglichkeit deutscher Einflussnahme bei der Ausübung der auf die EU übertragenen Hoheitsrechte werde modifiziert, so dass eine wesentliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU vorliege, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert bzw. ergänzt werde. Diese Auffassung hatte der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme zum zugrundeliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung dargelegt.

Unterschiedliche Auffassungen

In ihrer Gegenäußerung hat die Bundesregierung der Argumentation des Bundesrates widersprochen: die Änderungen beschränkten sich auf beitrittsbedingte Anpassungen der organisatorischen Regelungen mit dem Ziel, den Beitrittskandidaten die mitgliedschaftlichen Teilhaberechte am Rechtsetzungssetzungsprozess der EU zu verschaffen. Eine materielle Änderung der Verträge sei damit nicht verbunden, weil es nicht um eine Erweiterung der Hoheitsbefugnisse der EU im Verhältnis zu ihren Mitgliedstaaten gehe. Daher komme den Beitrittsregelungen keine verfassungsändernde Wirkung zu. Der mit jedem neuen Mitglied verbundene Verlust an Durchsetzungsmöglichkeiten einzelner mitgliedstaatlicher Interessen entfalte ausschließlich politische, nicht aber verfassungsrechtliche Bedeutung.

Übereinstimmend damit hat der Deutsche Bundestag bei Verabschiedung des Vertragsgesetzes in einer begleitenden Entschließung darauf hingewiesen, dass die verfassungsrechtliche Grundlage für die Ratifizierung Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 GG sei und durch den Beitritt weder Hoheitsrechte übertragen noch Änderungen im Sinne des Artikels 23 GG vorgenommen würden.

Ein wiederkehrendes Thema

Der Streit um die Rechtsgrundlage und die richtige verfassungsrechtliche Behandlung ist indes nicht neu. Bereits bei der letzten Erweiterungsrunde um zehn neue EU-Mitglieder im Jahr 2003 behandelten beide Kammern das entsprechende Vertragsgesetz unterschiedlich: Der Bundesrat stimmte dem vom Bundestag als Einspruchsgesetz deklarierten Gesetz mit qualifizierter Mehrheit zu und verwies auf Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 GG. Verkündet wurde es vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau jedoch lediglich als Einspruchsgesetz.

Stand 24.11.2006

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