Kein Computer kann sie ersetzen

Foto: Blick auf die Stenografenbank im Bundesrat

© Bundesrat | Peter Wilke | 2008

Freitag, 17 Uhr: Die Sitzung des Bundesrates ist seit Stunden beendet, die Saaldiener haben die Stühle im Plenarsaal wieder ordentlich zurechtgerückt, die Politiker sind auf dem Weg zurück in ihre Landeshauptstädte. Während für die meisten jetzt das Wochenende beginnt, herrscht Hochbetrieb in den Büros des Stenografischen Dienstes.

Emsig wird diktiert, geschrieben und korrigiert. Alles, was in der Plenarsitzung gesagt wurde, muss zu Papier gebracht werden. Vor Norbert Luck, dem Leiter des Stenografischen Dienstes des Bundesrates, und seinen Mitarbeitern liegt ein arbeitsreiches Wochenende, schließlich soll schon bald das Protokoll der Sitzung im Internet für jedermann verfügbar sein.

Schneller schreiben als sprechen

Platziert in einer Senke vor dem Rednerpult im Plenarsaal haben die Stenografen zuvor jedes gesprochene Wort mit gleichbleibender Miene und scheinbar mühelos notiert. Und der Schein trügt nicht: So schnell kommen Stenografen nicht ins Schwitzen. Erst recht nicht im Bundesrat mit seiner besonderen Sitzungsatmosphäre. Eher ruhig und sachlich tragen hier die Mitglieder des Bundesrates ihre Reden vor. Applaus und Zwischenrufe sind verpönt. Ruft doch jemand mal dazwischen, wird auch dies notiert.

Die Kunst, Gesprochenes lesbar zu machen

Collage

Kein Computer kann sie ersetzen

© Bundesrat | Peter Wilke | 2008

Die Stenografen wechseln sich während einer Bundesratssitzung alle fünfzehn bis fünf Minuten ab, um den kontinuierlichen Fluss der Übertragung zu sichern. Bis zu ihrem nächsten Einsatz haben sie höchstens 90 Minuten Zeit, ihre Mitschriften auszuarbeiten. Dabei wird in einem ersten Durchgang der aufgenommene Redetext sprachlich und stilistisch "geglättet" - so wenig wie möglich und so viel wie nötig. Kommen in einer Rede Abkürzungen, Namen und Zitate vor, wird deren Richtigkeit überprüft. Wie die Erfahrung zeigt, schleichen sich bei freier Rede schnell kleine Fehler und Versprecher ein.

Es ist die Kunst der Parlamentsstenografen, lesbare Texte entstehen zu lassen, ohne den Inhalt des Gesprochenen und den Duktus des Redners zu verfälschen. "Man muss dies schon sehr behutsam machen", sagt Norbert Luck. Selbstverständlich ist der Arbeitsaufwand für die Protokollierung einer verlesenen Rede geringer als bei einem frei gehaltenen emotionsgeladenen Vortrag.

Stenografie erfordert aktive Beschäftigung mit Politik

Drei bis vier Tage dauert es, bis das Protokoll einer Bundesratssitzung veröffentlicht werden kann. Noch am Abend des Plenartages geht ein erstes Manuskript in den Druck. In den folgenden Tagen wird dieses weiter abgeglichen, verbessert und redigiert. Somit arbeiten Stenografen, anders als vielfach vermutet, mehr hinter den Kulissen als im Sitzungssaal.

Die Anfertigung eines Sitzungsprotokolls erfordert neben exzellenten handwerklichen Fähigkeiten auch die Auseinandersetzung mit den Inhalten der Debatten. Die Stenografen bereiten sich anhand der Niederschriften über die Ausschusssitzungen und nicht zuletzt durch intensive Zeitungslektüre auf die zu behandelnden Themen vor. Für Norbert Luck und seine Mitarbeiter ist Stenografie also weit mehr als Schreiben: "Sie ist aktive Beschäftigung mit der Politik."

Sprachstil hat sich verändert

Foto: Blick von oben auf die Stenografenbank und das Rednerpult

Kein Computer kann sie ersetzen

© Bundesrat | Peter Wilke | 2008

Schon für den Laien ist beim Betrachten alter Filmaufnahmen erkennbar, dass sich der Diskussionsstil in den Parlamenten in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Wie stellt sich das für einen Parlamentsstenografen dar? "Früher herrschte das Getragene, Deklamatorische vor. Im Vergleich dazu wirkt die Sprache heute etwas verwildert. Es wird nicht mehr so auf die Form geachtet", erklärt Norbert Luck, der auf über 32 Jahre Diensterfahrung in Bundestag und Bundesrat zurückblickt. "Die Redner sprechen häufig frei und sehr viel schneller als früher." Gründe dafür sieht Norbert Luck unter anderem in der modernen Mikrofontechnik: "Man muss kaum noch Kraft aufwenden, um sich verständlich zu machen."

Keine Zukunftsängste

Circa 120 Parlamentsstenografen gibt es in Deutschland. Während in vielen Büros Diktiergeräte und Spracherkennungssoftware die Stenografie verdrängt haben, bleiben die Parlamente ihre Hochburg. Und das, so ist sich Norbert Luck sicher, wird sich auch mit fortschreitender Technisierung nicht ändern: "Kein Computer kann so umfassend wie ein Mensch Gesprochenes sofort zu Papier bringen und dabei gleichzeitig Redner und Situation unterscheiden und zuordnen."

Ohne Stenografen müssten stundenlang Tonbänder und Videos in vielen Arbeitsschritten verschriftlicht und ausgewertet werden - mit der Gefahr, dass entscheidende Elemente fehlen, etwa ein Zwischenruf, den Mikrofon und Kamera nicht eingefangen haben. Dieser Weg würde wesentlich mehr Zeit und Aufwand kosten und schlechtere Ergebnisse liefern.

Damit erfüllt die Stenografie immer noch den Zweck, für den der bayerische Ministerialbeamte Franz Xaver Gabelsberger die Kurzschrift Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte. Damals suchte man nach einem Instrument, die Debatten in den neu geschaffenen Parlamenten nachvollziehbar aufzuzeichnen. Ob Gabelsberger ahnte, dass seine Erfindung auch 200 Jahre später dem technischen Fortschritt unangefochten standhält?

Stand 08.12.2008

Archiv der Plenarprotokolle des Bundesrates:

Weitere Informationen zum Stenografischen Dienst des Bundesrates:

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