Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den nationalen Wahlsystemen Europa hat gewählt - aber wie?

Kollage: Dominosteine mit Aufschrift Wahl auf Europafahne

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Rund 375 Millionen Bürgerinnen und Bürger waren vom 4. bis 7. Juni 2009 aufgefordert, Europa ihre Stimme zu geben. Als Ziel hatten die in ganz Europa kandidierenden Politiker eines gemeinsam: Das Europäische Parlament. Doch der Weg, den die gewählten EU-Parlamentarier bis dorthin zurücklegen müssen, ist mitunter sehr verschieden. Denn eine gemeinsame Wahl bedeutet nicht zwangsläufig ein gemeinsames Wahlsystem.

Die europäische Idee erinnert mitunter durchaus an die des Föderalismus in Deutschland: Denn ähnlich wie die 16 Länder der Bundesrepublik sind auch die 27 Länder Europas "in Vielfalt geeint". Für diese Vielfältigkeit steht auch die Wahl zum Europäischen Parlament. So vertreten seine 785 Mitglieder nicht nur die Interessen verschiedenster Nationen, sie werden auch auf verschiedenste Weise hierfür "ausgewählt".

30 Jähriges Jubiläum europäischen Demokratiezuwaches

Seit 30 Jahren bestimmen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union selbst, wer sie im Europäischen Parlament vertritt. Damit reiht sich zu den diesjährigen Feierlichkeiten des Grundgesetzes und Mauerfalls das Jubiläum einer weiteren wichtigen demokratischen Errungenschaft.

Foto: Blick auf das Gebäude

Europa hat gewählt - aber wie?

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Zwar gab es schon zu Beginn der Europäischen Gemeinschaft eine Versammlung europäischer Parlamentarier. Sie wurden jedoch nicht direkt gewählt. Stattdessen entsandten die nationalen Parlamente Abgeordnete in das europäische Parlament. Erst am 4. und 7. Juni 1979 wurde umgesetzt, was bereits in den Gründungsverträgen zur Europäischen Union vorgesehen war: Die damals neun Mitgliedstaaten hielten erstmals Direktwahlen zum Europäischen Parlament ab.

Einige wenige Gemeinsamkeiten

Eine weitere Vorgabe der Gründungsverträge wurde hingegen bis heute nicht umgesetzt: Dass die Europa-Abgeordneten nach einem einheitlichen Verfahren zu wählen sind. Entsprechende Vorschläge des EU-Parlaments scheiterten immer wieder am Veto der Regierungen im Ministerrat. Verständigen konnten sich Rat und das Europäische Parlament allerdings auf den so genannten Direktwahlakt. Dieser enthielt einige wenige grundsätzliche Regelungen. So legte er unter anderem fest, dass Europa-Abgeordnete für fünf Jahre zu wählen sind. Außerdem erklärte er bestimmte Ämter für mit dem Mandat eines Europaparlamentariers unvereinbar. Hierzu gehörten Ministerposten und Spitzenämter der Europäischen Kommission. Um es den Ländern weiterhin zu ermöglichen, ihre Wahlen an den traditionellen Wahltagen abzuhalten, sah der Direktwahlakt vor, dass alle Staaten die Wahlen in derselben Woche zwischen Donnerstag und Sonntag durchführen sollten. Zugleich legte er fest, dass die einzelnen Wahlergebnisse erst veröffentlicht werden durften, wenn die letzten Wahllokale in der Gemeinschaft ihre Türen schlossen.

Grundlegendes kommt hinzu

Eine zusätzliche und sehr grundlegende Gemeinsamkeit brachte der Vertrag von Maastricht mit sich, der 1993 in Kraft trat. Er führte die Unionsbürgerschaft ein. Seitdem dürfen alle EU-Bürger in dem Land, in dem sie leben, aktiv oder passiv an den Europawahlen teilnehmen. Unabhängig davon, ob sie die Staatsangehörigkeit des Landes besitzen.

Amsterdam führt weiter zusammen

Foto: Wahlkabinen

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Von Vertrag zu Vertrag näherte sich Europa dann immer ein Stück weiter an - so auch bei den Europawahlen. Auf der Grundlage des Vertrags von Amsterdam wurde 2002 eine neue Fassung des Direktwahlaktes verabschiedet, die zwei Jahre später erstmals zur Anwendung kam. Der berühmte Wahldreiklang gilt seitdem auch für die Europawahlen: Geheim, allgemein und frei haben die Wahlen demnach zu sein. Auch die Freiheit des Abgeordnetenmandats wurde in dem neuen Direktwahlakt festgelegt. Ebenso wie seine Unvereinbarkeit mit einem Mandat in einem nationalen Parlament. Außerdem müssen nunmehr alle Mitgliedsstaaten das Verhältniswahlrecht anwenden. Selbst diejenigen, die ihre Parlamente nach der Mehrheitswahl ernennen. Hürden wie die Fünf-Prozent-Klausel sind nach dem neuen Direktwahlakt offiziell erlaubt.

Es bleibt viel Eigenes

Doch diesen Gemeinsamkeiten stehen nach wie vor viele Aspekte gegenüber, die national unterschiedlich gehandhabt werden. Dies fängt bei der Wahlkreiseinteilung an. Die meisten Mitgliedstaaten haben nur einen einzigen Wahlkreis, der das gesamte Hoheitsgebiet abdeckt. Andere sind in mehrere Wahlkreise aufgeteilt. Deutschland liegt dabei mit 16 Wahlkreisen an der Spitze. Polen hat 13, England 11 und Irland nur 4.

Große Einigkeit besteht hingegen beim Wahlalter. Außer in Österreich, wo schon mit 16 gewählt werden kann, liegt das Mindestwahlalter in allen anderen EU-Staaten bei 18 Jahren. Anders sieht es beim passiven Wahlrecht aus. Selbst kandidieren können die Bürger in den meisten Staaten mit 18 Jahren. Unter andern in Belgien und Luxemburg muss man dafür bis zu seinem 21. Geburtstag warten. In Frankreich ist ein Mindestalter von 23 und in Italien gar von 25 Jahren vorgeschrieben.

Foto: Hand mit Wahlkarte

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National verschieden werden auch die Modalitäten der Kandidatur behandelt. Während wie auch in Deutschland die Einreichung der Kandidaturen den Parteien vorbehalten ist, ist die Aufstellung in den meisten anderen Ländern an eine bestimmte Zahl von Unterstützern oder Unterstützungs-Unterschriften gebunden. In einigen Fällen (Irland, Niederlande und Großbritannien) muss sogar eine Kaution gestellt werden.

Auch die Methoden der Stimmenauszählung sind nicht in jedem Mitgliedsstaat gleich. Die meisten Staaten nutzen die d'Hondtsche Methode für die Stimmenverrechnung und die Sitzverteilung. In Deutschland wird nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren gezählt. Darüber hinaus finden fünf weitere Methoden EU-weit Anwendung.

Mehr Einheitlichkeit in der Vielfalt

Auch wenn auf den ersten Blick diese nationalen Unterschiede bei der Wahl des EU-Parlaments kompliziert erscheinen, so kommen sie den einzelnen Wählern in ihren Gewohnheiten entgegen. Eine radikale Gleichschaltung der Modalitäten hätte nicht nur einen enormen Verwaltungs- und Umsetzungsaufwand zu Folge, sondern würde die Wählerschaft zur Auseinandersetzung mit dem veränderten Wahlsystem zwingen. In Anbetracht des schon jetzt verhältnismäßig geringen Interesses an den Wahlen könnte dies - so die Befürchtung - die Wahlbeteiligung weiter mindern. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass mit fortschreitender Integration schrittweise die Bedingungen für mehr Einheitlichkeit in einigen Bereichen des Wahlsystems zugunsten von mehr Transparenz und Vergleichbarkeit verbessert werden. Hoffnungen knüpfen sich auch hierbei an die Umsetzung des Vertrages von Lissabon, der dafür eine Rechtsgrundlage bieten könnte.

Stand 09.06.2009

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