"Die Kommunen brauchen unsere Unterstützung"

Hannelore Kraft

© SPD | Mülheim an der Ruhr

Wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt als Bundesratspräsidentin spricht Hannelore Kraft im Interview über ihre Erwartungen und Vorhaben im Amt. Die Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens erläutert, wie sie Betroffene in politische Entscheidungen einbinden will und warum ihr die Kommunen besonders am Herzen liegen. Außerdem verrät sie ihre persönliche Strategie bei der Suche nach politischen Mehrheiten.

Frau Präsidentin, Ihr Amtsantritt fand große Beachtung. Sie sind die erste Präsidentin des Bundesrates. Was bedeutet Ihnen das?

Die Zeit vor Beginn der Bundesratspräsidentschaft war wegen des Landtagswahlkampfs und der Verhandlungen zur Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen sehr turbulent. Kaum waren diese abgeschlossen, kam schon die Bundesratspräsidentschaft auf mich zu.

Foto: Bildergalerie

Präsidenten des Bundesrates

© Bundesrat | Peter Wilke | 2010

Welche Dimension das Amt hat, wurde mir erst klar, als mir der Direktor des Bundesrates die Präsidentengalerie im Bundesratsgebäude mit den über 60 Herrenportraits zeigte und sagte "Dort kommt jetzt ihr Bild hin". Da habe ich dann erstmal geschluckt. Schließlich hängen dort die Portraits von Johannes Rau, Willy Brandt, Franz Josef Strauß und vielen anderen bedeutenden Politikern.

Stört es Sie, dass immer wieder hervorgehoben wird, dass nun eine Frau das Amt innehat?

Nein, das nicht. Ich freue mich, dass damit der Bundesrat mehr in den Fokus gelangt, denn aus meiner Sicht stand er - sieht man mal von der Vertretung des Bundespräsidenten durch Jens Böhrnsen ab - in der vergangenen Zeit eher etwas im Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung. Ich bin eine überzeugte Föderalistin und der Meinung, dass der Föderalismus durchaus ein Erfolgsmodell ist. Deshalb ist es wichtig, deutlich zu machen, welche Stellung der Bundesrat in unserem politischen System hat. Seine Sitzungen sollten mehr Beachtung finden, weil dort die Länder ihre Positionen in der Bundespolitik öffentlich machen.

Handschlag im Plenarsaal des Bundesrates

Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft

© Bundesrat | 2010

Was haben Sie sich für die Zeit Ihrer Präsidentschaft vorgenommen?

Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Bürgerinteressen stärker in den Mittelpunkt politischer Entscheidungen gestellt werden. Außerdem geht es mir um die Stärkung der Interessen der Kommunen, für die wir als Länder ja in der Bundesgesetzgebung mitverhandeln. Viele Städte und Gemeinden befinden sich in einer sehr schwierigen Lage. Deswegen brauchen sie unsere Aufmerksamkeit.

In Ihrer Antrittsrede sprachen Sie davon, "aus Betroffenen Beteiligte machen" zu wollen. Wie gehen Sie das an?

Ich bin davon überzeugt, dass wir die Bürgerinnen und Bürger schon sehr früh in Entscheidungsprozesse einbinden müssen - und das nicht nur bei großen Infrastrukturmaßnahmen. Wir brauchen eine andere Herangehensweise bei der Entscheidungsfindung auch unter Einbeziehung der Wirtschaft, der Arbeitnehmervertreter und gesellschaftlicher Gruppen. Wir müssen mehr informieren und stärker für unsere Positionen werben, um Akzeptanz für Entscheidungen zu gewinnen.

Hannelore Kraft während ihrer Rede

Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft

© picture alliance | dpa | Wolfgang Kumm

Bedeutet das auch ein Mehr an direkter Demokratie?

Man muss darüber nachdenken, auch die direkte Demokratie zu stärken. Von der Verfassung her sind wir aber eine parlamentarische Demokratie. Sie muss an die Gegebenheiten angepasst werden. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, die Entscheidungswege transparenter zu gestalten. Stuttgart 21 zeigt, wie sehr die Bürgerinnen und Bürger an Details interessiert sind und wie kompetent Entscheidungen diskutiert werden können.

Um das Vertrauen in Politiker und politische Institutionen steht es nicht zum Besten. Wie kann dem begegnet werden?

Wichtig sind Glaubwürdigkeit und Authentizität. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Entscheidungen, die man sich und anderen klar begründen kann, auch dann akzeptiert werden, wenn andere mit dieser Position nicht übereinstimmen.

Welche Auswirkungen hat es, wenn wie jüngst wichtige und weitreichende Entscheidungen mit hohem Tempo und mit verkürzten Beratungsfristen durch Bundestag und Bundesrat getrieben werden?

Hannelore Kraft, Kurt Beck, Matthias Platzeck, Jens Böhrnsen, Klaus Wowereit (v.r.)

Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft

©  picture alliance | dpa | Hannibal Hanschke

Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würden Parlamente zu Abnickorganen degradiert. Das wäre eine gefährliche Entwicklung. Sicherlich sind verkürzte Beratungen in Krisenfällen erforderlich. Sie müssen aber die Ausnahme bleiben. Das Austragen unterschiedlicher Positionen ist wichtig. Das schafft Transparenz und sorgt für Akzeptanz von Entscheidungen.

Sie haben sich vorgenommen, auch über den Bundesrat die Interessen der Kommunen zu stärken. Wo liegen die Konfliktlinien zwischen Bund, Ländern und Kommunen?

Im Grunde geht es um das Missverhältnis der Aufgaben- und Finanzverteilung. Die Kommunen haben viele Aufgaben für den Bund übernommen, etwa im sozialen Bereich bei den Unterkunftskosten von Langzeitarbeitslosen oder den Eingliederungshilfen für Behinderte. Sie waren an den Entscheidungen darüber aber nicht beteiligt und verfügen auch nicht über ausreichende Mittel zur Bewältigung dieser Aufgaben. Die Länder müssen sich beim Bund dafür einsetzen, dass das Missverhältnis wieder gerade gerückt wird. Eine Entlastung der Kommunen ist dringend erforderlich.

Leider kann ich derzeit nicht erkennen, dass sich dafür eine Lösung abzeichnet - auch nicht in der Gemeindefinanzkommission, die Anfang des Jahres von der Bundesregierung zur Lösung dieser Fragen eingesetzt wurde. Zuletzt ging es dort um die Zukunft der Gewerbesteuer. Es gibt unterschiedliche Signale, ob der Bund hier gegen den Willen der Kommunen Änderungen vornehmen will. Ich halte das für falsch. Vielmehr muss der Bund bei der sozialen Sicherung die Verantwortung übernehmen, die ihm zukommt. Außerdem muss die Einnahmesituation der Kommunen verstetigt werden.

Hannelore Kraft mit Preis

Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft

©  picture alliance | dpa | Eventpress Schraps

Sie sind vor kurzem als Politikerin des Jahres ausgezeichnet worden, unter anderem weil Sie den Mut zu einer Minderheitsregierung haben. Auch im Bundesrat sind die SPD-geführten Länder in der Minderheit. Helfen Ihnen Ihre Erfahrungen auf Landesebene bei der Kompromisssuche im Bundesrat?

In beiden Fällen muss es in erster Linie immer um die Sache gehen. Persönliche Auseinandersetzungen sollten außen vor bleiben. Man sollte Gegenargumente immer genau betrachten und sich vernünftigen Ideen nicht verschließen, auch wenn sie von politischen Mitbewerbern vorgebracht werden.

Lassen Sie uns noch einen Blick auf eine Kernkompetenz der Länder werfen: die Bildungspolitik. Viele Betroffene wünschen sich hier statt Kleinstaaterei bundeseinheitliche Regelungen. Was erwidern Sie dieser Forderung?

Eine Vereinheitlichung hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil wäre, dass alles in allen Ländern gleich geregelt würde. Dies ist aber gleichzeitig auch der Nachteil. Ein starres System, wie etwa in Frankreich, führt - wie PISA zeigt - nicht zu besseren Ergebnissen. Unterschiede sind kein Nachteil. Wir müssen in der Politik aber dafür sorgen, dass die Übergänge stimmen. Es ist die Aufgabe der Kultusministerkonferenz, das zu gewährleisten.

Auch in Nordrhein-Westfalen setzen wir uns für eine Dezentralisierung von Verantwortung ein. Wir wollen nicht über jede einzelne Schule von Düsseldorf aus bestimmen. Entscheidungen müssen vor Ort fallen. Auf der anderen Seite muss man dann sicherstellen, dass landesweit die Ziele auch erreicht werden. Nur so haben die Beteiligten eine Rückkoppelung, dass sie auf dem richtigen Weg sind.

Foto: Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft und Bundespräsident Christian Wulff

Hannelore Kraft

© REGIERUNGonline | Steffen Kugler

Sie machen derzeit Ihre Antrittsbesuche bei den anderen Verfassungsorganen. Was passiert bei solchen Treffen?

Das sind freundliche Zusammenkünfte. Man tauscht Gedanken aus, spricht sich zum Beispiel bei Terminen ab und erhält gute Tipps für die Amtsführung. Alles in allem herrscht eine lockere Atmosphäre und das ist auch gut so.




Stand 14.12.2010

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