NPD-Verbotsverfahren Einführende Stellungnahme von Bundesratspräsident Stanislaw Tillich

Foto: Bundesratspräsident Stanislaw Tillich im Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts

© dpa | Marijan Murat

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Am 1. März 2016 begann die mündliche Verhandlung zum NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Für die Länderkammer gab Bundesratspräsident Stanislaw Tillich eine einführende Stellungnahme ab.

Es gilt das gesprochene Wort.

Hoher Senat,

bitte lassen Sie mich eingangs die politischen Motive erläutern, aus denen der Bundesrat den vorliegenden Verbotsantrag gestellt hat:

Die NPD ist eine rassistische, antisemitische, revisionistische und demokratiefeindliche Partei. Ihre Ideologie steht in eindeutiger Tradition des historischen Nationalsozialismus.

Die NPD schürt Hass, verbreitet abwertende Äußerungen und aggressive Drohungen gegen ethnische Minderheiten, gegen Religionen und gegen politische Gegner. Sie missachtet die Menschenwürde von Mitbürgern jüdischen und islamischen Glaubens, von Ausländern, insbesondere Asylbewerbern, sowie von politisch Engagierten jeglicher Couleur.

NPD-Vertreter relativieren nationalsozialistische Verbrechen, sympathisieren mit Holocaust-Leugnern, vertreiben NS-Literatur und verherrlichen Repräsentanten des Nationalsozialismus.

Die NPD will keine demokratische Meinungs- und Weltanschauungsvielfalt. Sie will diejenigen aus ihrer sogenannten "Volksgemeinschaft" ausschließen, die nicht ihrem rassistischen Menschenbild entsprechen: egal, ob sie deutsche Staatsangehörige sind oder nicht.
Alleinstellungsmerkmal der NPD ist ihr radikaler biologistischer Rassismus. Sie kategorisiert Menschen nach ihren Erbanlagen und sagt (Zitat): "Angehörige anderer Rassen bleiben [...] körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben. Sie mutieren durch die Verleihung eines Passes ja nicht zu Deutschen." Zitat Ende.

Die NPD verachtet unsere Demokratie.

Sie betrachtet sich – nach den Worten eines führenden Funktionärs und ehemaligen Bundesvorsitzenden – ausschließlich als "politisches Werkzeug", um – ich zitiere – "keinen Kollateralschaden", sondern den "Maximalschaden dieses Parteienstaates" zu erreichen. Sie sieht sich selbst als "revolutionär".

Die NPD arbeitet aktiv-kämpferisch daraufhin, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen.

Das waren und sind aus Sicht des Bundesrats mehr als ausreichende Gründe für einen Verbotsantrag.

Trotz alledem hat sich der Bundesrat die Entscheidung für einen Verbotsantrag nicht leicht gemacht. Aus guten Gründen sind die Hürden für ein Parteiverbot hoch. Das Instrument des Parteiverbots darf nicht dazu missbraucht werden, missliebige politische Konkurrenten zu beseitigen.

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben es allerdings für richtig befunden, dass eine Demokratie wehrhaft ist und zu ihrem eigenen Schutz auch auf ein Parteienverbot zurückgreifen darf. Sie haben es als notwendig erachtet, dass es für Feinde der Demokratie Grenzen gibt.

Im Bewusstsein dieser Entstehungsgeschichte haben wir intensiv geprüft und uns dann mit überwältigender Mehrheit für den Verbotsantrag entschieden: Wenn das im Grundgesetz vor-gesehene Instrument des Parteiverbots heute noch einen Anwendungsfall haben sollte, dann im Fall einer Partei wie der NPD mit ihren gerade beschriebenen verfassungswidrigen Zielen und Aktivitäten.

Es gab auch kritische Stimmen. Ich will das an dieser Stelle nicht verhehlen. So wurde gefragt, ob – nach 60 Jahren stabiler Demokratie in Deutschland – die von der NPD ausgehende Gefahr wirklich groß genug sei. Wir haben diese Argumente sehr ernst genommen.

Gerade als Bundesrat mussten wir aber zu folgender politischen Einschätzung kommen: Die NPD ist politisch bedeutend, und sie ist gefährlich. Mehr als die beiden anderen Antragsberechtigten – Bundestag und Bundesregierung – hat der Bundesrat als Ländervertretung die politische Realität auf lokaler und regionaler Ebene im Blick. Die NPD hat bei Wahlen nicht nur mehrfach die 5 %-Hürde überschritten und ist in Landtage eingezogen. Sie hat deutschlandweit auch mehr als 300 kommunale Mandate. Damit verfügt sie über eine starke lokale Verankerung – insbesondere in Ostdeutschland. Die NPD organisiert Kinderfeste, macht Jugendarbeit und verbreitet so ihre verfassungsfeindliche Ideologie. Gerade die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass die NPD kampagnenfähig ist, Menschenmengen versammeln und zum Hass aufstacheln kann. Gewalt gegen Menschen und Sachen sowie Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte sind Folge ihres rassistischen Gedankenguts.

Die NPD steht sicherlich nicht kurz davor, die Demokratie in ganz Deutschland zu beseitigen. Sie stellt aber eine Gefahr für die Menschenwürde von Minderheiten und politischen Gegnern und für die Demokratie vor Ort dar. Beeinträchtigungen der Demokratie vor Ort wirken sich auf das gesamte demokratische System aus.

Wir als Landespolitiker spüren das Problem ganz deutlich. Auch dadurch, dass sich die Agitation der NPD vielfach gegen politisch Engagierte auf kommunaler Ebene und Landesebene richtet. Und zwar nicht nur durch Worte, sondern auch durch Drohungen, Einschüchterungen, durch das Eindringen in die Privatsphäre und durch das aktive Stören von Veranstaltungen. Auch vor Straftaten schrecken ihre Mitglieder und Anhänger nicht zurück. Das zeigt: die NPD will keinen demokratischen Diskurs. Sie will den Diskurs mit undemokratischen Mitteln zerstören.

Kritiker eines Verbotsverfahrens wiesen darauf hin, dass man rechtsextremistisches Gedankengut nicht durch Verbote bekämpfen könne. Lassen Sie mich dazu zwei Punkte sagen:

Erstens: Die NPD ist die institutionelle und von der staatlichen Parteifinanzierung unterstützte Basis eines rechtsextremistischen Netzwerks. Wir haben gezeigt, dass die NPD mit neonazistischen Kameradschaften zusammenarbeitet und personell verbunden ist. Sie sieht sich selbst als Basis einer "Volksfront". Dieses Netzwerk dient dazu, rechtsextremistisches Gedankengut effektiv und weit zu verbreiten. Es kann wegen des Parteienprivilegs ausschließlich durch ein Mittel zerschlagen werden: das Parteiverbot. Ein Parteiverbot erstreckt sich automatisch auch auf Nachfolgeorganisationen.

Zweitens: Von Kritikern wurde gesagt, dass man Rechtsextremismus durch Bildungsarbeit und Aussteigerprogramme bekämpfen müsse. Genau das tun wir! Überall in Deutschland gibt es eine breite Palette solcher Angebote. Überall klärt der Staat über die NPD auf. Es ist viel Energie und Geld in die Präventionsarbeit geflossen. Letztlich mussten wir aber konstatieren, dass wir so immer nur einen Teil der rechtsextremistischen Szene erreichen. Dass wir die Gefahr zwar verringern, aber nicht beseitigen können.

Deshalb ist es aus Sicht des Bundesrates ein Verbotsantrag als ultima ratio der staatlichen Möglichkeiten nur folgerichtig. Der Verbotsantrag stellt ein Teilelement in einer umfassenderen Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Rechtsextremismus in Deutschland dar. Und ich glaube auch, dass ein Staat, der seine Bürger zum Einsatz gegen Extremismus aufruft, auch selbst die ihm selbst zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen muss. Dazu zählen selbstverständlich auch die rechtsstaatlichen, repressiven Mittel des Straf- und Ordnungsrechts, die aber stets nur ein Teilelement der Gesamtstrategie darstellen und deshalb an ihre Grenzen stoßen.

Lassen Sie mich hinzufügen: Die NPD untergräbt europäische Grundwerte und zielt außenpolitisch auf die Zerstörung der europäischen Friedensordnung. Einer Ordnung, die uns seit 70 Jahren in Europa Frieden, Freiheit und Wohlstand in nie dagewesenem Maße gebracht hat. Auch deshalb hat dieses Verfahren eine europaweite Ausstrahlung.

Schließlich haben wir die Lehren aus dem ersten NPD-Verbotsantrag gezogen. Die Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit eines Verbotsverfahrens hatte von Anfang an, weit vor Antragsstellung, für alle Beteiligten die oberste Priorität. Wir haben spätestens seit dem 6. Dezember 2012 keine V-Personen mehr in den Führungsgremien der NPD. Das vorgelegte Beweismate-rial stammt nicht von V-Personen. Alle Belege können der NPD zweifelsfrei selbst zugeordnet werden. All das wurde von den Sicherheitsbehörden durch aufwändige Verfahren intensiv überprüft und von den Innenministern testiert. Die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens ist damit gesichert.

Nur so hat der Bundesrat sich überhaupt dazu in der Lage gesehen, diesen Verbotsantrag zu stellen. Aus den genannten Gründen hält er im Falle der NPD das äußerst selten zur Anwendung kommende Instrument des Verbotsverfahrens für erforderlich. Für die rechtliche Einordnung darf ich jetzt das Wort an unseren Verfahrensbevollmächtigten, Herrn Prof. Dr. Möllers, weitergeben.

Stand 01.03.2016

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