Interview mit Malu Dreyer Es geht um gute Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger

Foto: Malu Dreyer

© Staatskanzlei RLP | Elisa Biscotti

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Malu Dreyer ist seit 1. November Präsidentin des Bundesrates. Im Interview gibt sie einen Ausblick auf ihre Präsidentschaft. Sie beschreibt, was hinter ihrem Motto der "Gemeinsam sind wir Deutschland" steht und wie sie auch enttäuschte Bürger für die Demokratie begeistern will. Außerdem äußert sie sich zu der Suche nach Kompromissen im Bundesrat und dem Vorschlag, dort mit einfacher Mehrheit abzustimmen.

Sie sind die zweite Bundesratspräsidentin - nach 69 Präsidenten. Ist das ein Fakt, der noch hervorgehoben werden muss?

Aus meiner Sicht ist es in der Tat bemerkenswert, dass es mit mir bislang nur zwei Frauen gibt, die dieses Amt übernommen haben. Ich freue mich, dass sich insofern die Dinge mehr und mehr ändern. Und es zeigt, dass Frauen heute alle Ämter im Staat bis hin zur Verfassungsrichterin und zur Bundeskanzlerin offenstehen. Gleichwohl muss auch weiterhin noch viel bis zur vollen Gleichstellung von Frauen getan werden. Das Verhältnis von 69 : 2 zeigt das doch deutlich!

Sie gehören dem Bundesrat seit über 14 Jahren an. Wie haben Sie den Bundesrat am Anfang wahrgenommen? Wie hat er sich in dieser Zeit verändert?

Im Laufe der Jahre sind der Bundesrat und seine Zusammensetzung bunter geworden. Das liegt vor allem an der Vielfalt der politischen Regierungskonstellationen in den Ländern. Aber auch die Themenpalette ist immer breiter geworden. So behandeln wir z.B. heute wesentlich mehr EU-Vorlagen.

In Zeiten einer nie dagewesenen Koalitionsvielfalt müssen im Bundesrat Mehrheiten sehr breit über Länder- und Parteigrenzen hinweg organsiert werden. Kommt bei soviel Konsens der Meinungsstreit nicht zu kurz?

Nein, das denke ich nicht. Vor der Beschlussfassung steht ja zunächst immer erst die Auseinandersetzung. Gerade zurzeit gibt es eine große Zahl von Themen, um die weiterhin kontrovers gerungen wird z.B. die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz oder die "Ehe für alle" mit einer vollständigen Gleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Paaren". Die Vielfalt an politischen Konstellationen in den Ländern verlangt nach einer guten Kommunikation. Unterschiedliche Ansichten, aber auch gemeinsame Ziele müssen identifiziert werden. Es zeigt sich dann, welche Standpunkte einigungsfähig sind. Sicherlich gehört dazu neben Verhandlungsgeschick und politischer Erfahrung auch die richtige Mischung aus Hartnäckigkeit und gutem Willen. Letztlich geht es ja um gute Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger.

Beschlüsse mit einfacher Mehrheit würden die Konsensfindung ebenso wie das Opponieren im Bundesrat einfacher machen. Wäre der entsprechende Vorschlag Wolfgangs Schäubles nicht ein Ausweg aus der "Konsensmisere"?

Dieser Vorschlag des Bundesfinanzministers ist wahrscheinlich fast so alt wie das Grundgesetz selbst. Die Idee wurde in der Vergangenheit immer wieder mal diskutiert und nie umgesetzt. Aus gutem Grund: Es besteht zurzeit einfach keine Notwendigkeit dafür, denn die Länder gehen sehr verantwortungsbewusst mit den Rechten des Bundesrates um. Im Zuge der letzten Föderalismusreform wurde zudem die Anzahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze spürbar gesenkt. In den vergangenen Jahren sind nur wenige Gesetzgebungsvorhaben am Bundesrat gescheitert. Und es kann auch keine Rede davon sein, dass der Vermittlungsausschuss übermäßig oft angerufen wird.

Am Bundesrat sind in der laufenden Legislatur keine Gesetze gescheitert, trotzdem wird er gern als Blockierer dargestellt. Wie erklären Sie sich das?

Der Bundesrat hat das Recht und auch die Verantwortung, politisch mitzugestalten und die Sichtweise der Länder darzustellen. Meist geschieht dies sehr konstruktiv: durch die zahlreichen eigenen Gesetzentwürfe der Länderkammer oder durch Stellungnahmen zu Vorhaben der Bundesregierung. Deswegen ist das Wort "Blockieren" falsch.

Dass der Bundesrat in jüngster Zeit kaum Gesetze scheitern lässt, liegt natürlich auch an den politischen Konstellationen. Im Bund haben wir eine große Koalition, deren tragende Parteien in jeder der 16 Landesregierungen mindestens teilweise vertreten sind. Außerdem hat die letzte Föderalismusreform Wirkung gezeigt: bei der Mehrzahl der Gesetzesvorlagen handelt es sich um sogenannte Einspruchsgesetze, die keine Zustimmung der Länderkammer erfordern.

Kürzlich haben sich Bund und Länder auf eine neue Finanzordnung ab 2019 geeinigt. Die Länder erhalten mehr Geld vom Bund, übertragen ihm im Ausgleich einige ihrer Kompetenzen. Was kann der Bund besser regeln als die Länder?

Der Bund hat natürlich die Möglichkeit, bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen und den oft zitierten "Flickenteppich" zu vermeiden. Die Stärke der Länder ist es, vor Ort bürgernahe Entscheidungen zu treffen. Die Länder sind einfach näher dran und kennen insbesondere regionale Besonderheiten.

Welche Möglichkeiten hat der Bundesrat, enttäuschten Bürgern die Demokratie näher zu bringen?

Ich sehe die Herausforderung, aber auch die Chance für den Bundesrat darin, durch die Art und Weise, wie wir hier Politik machen, welche Debattenkultur wir pflegen und welcher Anliegen aus unseren Ländern wir uns annehmen, zu zeigen, dass Demokratie Sinn macht. Dass wir in der Lage sind, demokratisch gute Entscheidungen für anstehende Aufgaben zu finden und dass wir den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger Ohr und Stimme verleihen.

Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?

Ich übernehme die Bundesratspräsidentschaft in einer Zeit, in der viele Menschen verunsichert sind und die Gesellschaft über zahlreiche Fragen gespalten scheint. Ich möchte zeigen, dass wir mit den Stärken unserer Demokratie die Herausforderungen, vor denen wir stehen, zusammen meistern können. Und ich möchte die Menschen ermutigen, sich weiter auf diese Demokratie einzulassen, sich in ihr einzubringen und sie gemeinsam weiterzuentwickeln. Radikalen Hardlinern, die unsere Gesellschaft spalten wollen, werde ich entschlossen entgegentreten.

Zusammen sind wir Deutschland – Warum dieses Motto? Wofür steht es?

Das Motto ist vielschichtig. Es drückt aus, dass alle hier lebenden Menschen Deutschland ausmachen – egal woher sie kommen, welcher Religion sie angehören, welche Auffassung sie vertreten. Die Vielfalt gehört zu uns. Das Motto betont weiterhin den vorhandenen Gemeinsinn in Deutschland und den Willen, in konstruktiver Weise zu guten Lösungen für alle beizutragen. Auf das unglaubliche Engagement vieler Bürger und Bürgerinnen im Zusammenhang mit der Unterbringung einer großen Anzahl Zuflucht suchender Menschen etwa können wir zu Recht stolz sein. Diese Aspekte möchte ich während meiner Bundesratspräsidentschaft ins Bewusstsein rücken und die Menschen ermutigen, daran mitzuwirken.

Stand 01.11.2016

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