Herr Präsident, Sie übernehmen das Amt in politisch turbulenten Zeiten. Welche Herausforderungen sehen Sie für das nächste Jahr?
Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs. Terroranschläge und rechter Populismus bedrohen Freiheit und Demokratie. Unsere Reaktionen darauf dürfen nicht zur Selbsteinschränkung der Freiheit werden. Die, die uns hundertprozentige Sicherheit versprechen, aber als Preis verlangen, Toleranz und Demokratie, den Kern der freien Gesellschaft, aufzugeben, können ihr Versprechen nicht halten. Sie gilt es zu entlarven. Ein anderes Thema, aber ebenfalls sehr wichtig, ist der Wandel der Arbeitswelt. Durch die Digitalisierung werden Arbeitsplätze wegfallen und die Notwendigkeit zur Bildung und Weiterbildung wird noch größer. Soziale Sicherheit im Veränderungsprozess hin zu Arbeit 4.0 ist ein besonders wichtiges Thema der kommenden Zeit.
Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?
Gerade in diesen Bereichen: Herausforderungen durch den gesellschaftlichen Wandel, Arbeitswelt, soziale Sicherheit aber auch Sicherheit im alltäglichen Leben möchte ich Diskussionen anregen und das Bewusstsein aller dafür schärfen, dass wir den Wandlungsprozess sozial und gerecht gestalten, um unseren Bürgerinnen und Bürgern für die Zukunft Sicherheit, Teilhabe und Arbeit zu ermöglichen. Das ist die Aufgabe und Verantwortung von Politik: jeden Tag den Menschen das Leben ein wenig zu verbessern.
Unter welchem Motto steht Ihre Amtszeit?
Ich möchte, dass Deutschland sozial, sicher und modern bleibt und wird. "Nur mit Euch", das Motto für den Tag der Deutschen Einheit 2018 in Berlin, steht dafür, dass wir jeden und jede brauchen und niemanden in diesen Veränderungsprozessen zurücklassen wollen. Wir lassen nicht zu, dass die Digitalisierung uns gestaltet. Wir wollen die Digitalisierung als Chance für eine gerechtere Gesellschaft nutzen und gestalten. Wir werden nicht zulassen, dass Terror und Unsicherheit unsere Gesellschaft zersetzt, sondern wir werden für die Freiheit und Toleranz kämpfen.
Wie beurteilen Sie das aktuelle Verhältnis von Bund und Ländern?
In der letzten Legislaturperiode hat es ja große Themen gegeben. Die Neuordnung der Finanzbeziehungen unter den Ländern und zum Bund war sicher eine der wichtigsten. Wenn die neue Bundesregierung sich zusammengefunden hat, hoffe ich auf einen regen Austausch zu wichtigen Fragestellungen und auf eine gute Zusammenarbeit, um die von mir genannten Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Antworten zu den Fragen der Bildungspolitik, insbesondere zur gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern oder Impulse für den Arbeitsmarkt und den sozialen Wohnungsbau können und müssen wir gemeinsam voranbringen. Der Bundesrat wird hier eine wichtige Rolle spielen.
Wie unterscheiden sich die Interessen von Berlin als Stadtstaat von denen der anderen 13 Flächenstaaten?
Vor allem ist Berlin als Bundeshauptstadt das internationale Schaufenster Deutschlands. Diese besondere Rolle hat kein anderes Bundesland. Natürlich gibt es Bereiche, die uns sehr von Flächenstaaten unterscheiden. Wir haben zum Beispiel keine große Landwirtschaft, auch unser Windpark ist überschaubar: drei Windräder stehen auf Berliner Boden. Aber in anderen Bereichen sind wir besonders stark: Berlin ist die Wissenschafts- und Forschungsstadt der Bundesrepublik. Wir haben die höchste Universitätsdichte, deshalb kommen ja auch die Jugendlichen aus Bayern, Thüringen oder anderen Ländern und wollen hier studieren – und wohnen, was den Bau von Wohnraum bedingt, den wir hier nicht nur für Einheimische schaffen müssen. Wir haben eine jährliche Zuwanderung von mehr als 40.000 Menschen – also einer mittelgroßen Stadt.
Sind die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin Verbündete im Bundesrat?
An vielen Stellen sind sie das, wo es zum Beispiel um die Bewältigung der Herausforderungen geht, die räumliche Begrenztheit in den Städten nach sich ziehen, wie Landesentwicklung, Industrieflächen, Flüchtlingsunterbringung und Wohnungsbau. Aber grundsätzlich sind die Beziehungen zu den Flächenstaaten und den Stadtstaaten vom selben Geist geprägt, nämlich die föderalen Aspekte in Gesetzgebung und Politik ausreichend zur Geltung kommen zu lassen. Als Bundesratspräsident stehen bei mir deshalb auch genau diese Gesichtspunkte im Vordergrund und nicht eine formale Differenzierung nach Flächenstaaten und Stadtstaaten. Es gilt, das Gemeinsame zu finden und zu entwickeln, denn die Veränderungen treffen uns ja auch alle gemeinsam. Solidarisch müssen wir das Beste für die Menschen daraus machen und das geht nur gemeinsam.